Sei wesen-tlich
Wer bist Du? Was macht Dich, Dein Wesen aus?
Facebook spült tagtäglich schöne, witzige oder absurde Bilder in mein Bewusstsein, und wäre ich auf Instagram unterwegs, wäre die Bilderflut nochmal größer. Das eine oder andere Bild speichere ich ab – „für später“. Ein „später“, das nicht kommt, weil ich das Bild sowieso nicht mehr aufrufe…
Dieses Bild hingegen habe ich seit Ende Februar immer wieder angeschaut.
Die Aufnahme an sich – nicht besonders komponiert.
Bearbeitung mit Fotoshop – Fehlanzeige.
Das Motiv – nicht „schön“: ein Sarg, aufgebahrt in einer Kirche.
Der Sarg eines Menschen, dem ich selber nur einige wenige Male und flüchtig begegnet bin, von dem ich aber weiß, dass er mit Leib und Seele Feuerwehrmann und Seelsorger war. Der Feuerwehrhelm ist neben dem Kreuz der einzige Sargschmuck; nicht mehr unversehrt, sondern mit Macken, Dellen, Verschmutzungen, abgeschürfter Farbe. Kurzum: ein Helm, der gebraucht wurde, der – das sieht man ihm an – im Einsatz war. Genau wie sein Besitzer.
Warum mich dieses Bild so bewegt?
Weil es „wesen-tlich“ ist – es spiegelt in einem Gegenstand das Wesen und die Leidenschaft eines bestimmten Menschen wider.
Weil es nicht „schön“ ist im landläufigen Sinne, kein gestelltes Bild, kein Selfie. Es zeigt nicht, wie sich der Verstorbene gerne präsentieren und inszenieren wollte – sondern wie und als wer er tatsächlich gesehen und wahrgenommen wurde.
Und weil es mir Fragen stellt:
Wer bist Du? Was macht Dich, Dein Wesen aus? Welcher Gegenstand ist so charakteristisch für Dich, dass er später einmal auf Deinem Sarg liegen könnte? Welche bleibenden Spuren hinterlässt das Leben, hinterlassen Deine „Einsätze“ bei Dir? Wo bist Du für andere Menschen im Einsatz – auch auf die Gefahr hin, Schrammen abzubekommen?
Wir bewegen uns auf Ostern zu. Die Osterevangelien schildern, dass die Jünger den auferstandenen Jesus zunächst nicht erkannten – was rein optisch, kaum drei Tage nach seinem Tod, schwer vorstellbar ist. Erkennen taten sie ihn schließlich an dem, was für ihn „wesen-tlich“ war: beim Teilen von Brot und Wein, beim gemeinsamen Mahl. Und, man denke an die Begegnung mit dem „ungläubigen Thomas“, an seinen Wunden – oder mit einer Portion Untertreibung ausgedrückt: an den Schrammen.
Text u. Foto: Ricarda Menne
21.3.2021